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Einbringungsrede für den Nachtragshaushalt 2023

Senator für Finanzen

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete, werte Gäste,

ich darf Ihnen heute den Entwurf für den Nachtragshaushalt für das laufende Jahr vorstellen. So nüchtern könnte ich meine Rede beginnen. Und das würden Sie vermutlich auch nicht anders von mir erwarten. Sie kennen mich als sachlichen Finanzsenator. Ich möchte diese Einbringungsrede heute jedoch mal ganz anders beginnen.

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete, werte Gäste,

heute ist ein sehr besonderer Tag. Denn Bremen macht sich heute mutig auf den Weg, dem Klimawandel die Stirn zu bieten. Und ich weiß: Bremen kann das nicht allein. Aber wir sind uns doch einig: den Klimawandel aufzuhalten, ist Aufgabe von uns allen, und Bremen fängt jetzt entschlossen damit an.

Ich lege Ihnen also heute den Entwurf für den Nachtragshaushalt 2023 vor. Der ermöglicht es Bremen, Maßnahmen gegen den Klimawandel umzusetzen. Der Bund hat das in den vergangenen Jahren aus Sicht des "Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland" – BUND – nicht gemacht. Deswegen hat der BUND ganz aktuell die Bundesregierung verklagt. Der Bremer Senat macht sich jetzt auf den Weg, Maßnahmen nicht nur zu planen, nicht nur herbeizureden oder zu wünschen. Nein: umzusetzen. Ich werde Ihnen dazu gleich einige Beispiele nennen. Wir tun dies, weil es richtig und höchste Zeit ist.

Meine Damen und Herren,
und nicht nur das: Bremen nimmt Geld in die Hand, um die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in Bremen und Bremerhaven und die damit einhergehende Energiekrise abzufedern. Klima- und Energiekrise sind ineinander verschränkt, verstärken sich gegenseitig und sind deswegen auch als eine Krise zu bekämpfen.
Was dem Klima hilft – regenerative Energien und Energie-Einsparungen – hilft auch dabei, besser durch die Energiekrise zu kommen. Was dem Klima hilft, macht uns unabhängig von fossilen Energieträgern und damit unabhängig von Putin und hoffentlich auch von anderen Autokraten und Diktatoren.

Meine Damen und Herrn,
der Bremer Senat nimmt die Beschlüsse des Souveräns, der Bremischen Bürgerschaft ernst. Im Bericht der Klima-Enquete-Kommission stehen aufgelistet 190 Maßnahmen, wie dem Klimawandel beizukommen ist. Das kostet – so steht es schwarz auf weiß in diesem Bericht – 6 bis 7 Milliarden Euro. Mit diesem Nachtragshaushalt stellen wir die ersten Mittel bis 2027 bereit. Wir machen das, weil wir die Ergebnisse und die Aufgaben, die die Klima-Enquete-Kommission dem Senat aufgeschrieben hat, umsetzen wollen.

Im Bericht der Klima-Enquete-Kommission stehen folgende Sätze – ich zitiere:
"Die bevorstehende Aufgabe für diese und künftige Regierungen ist zugegebenermaßen enorm, aber machbar. Mehrere Faktoren bilden dafür die Voraussetzungen, u.a. der politische Wille zur Umsetzung."
Und weiter heißt es, eine weitere Voraussetzung sei "die ausreichende Verfügbarkeit finanzieller [...] Kapazitäten".

Sehr geehrte Damen und Herren,
der Senat möchte mit dem Nachtragshaushalt diese Kapazitäten schaffen und stellt insgesamt drei Milliarden Euro bereit, um damit Maßnahmen umzusetzen, die Bremen und Bremerhaven zu klimaneutralen Städten machen.

Aus Bordmitteln können das weder die beiden Städte noch das Land Bremen. Wir möchten daher die im Gesetz festgeschriebene Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen und die Klima-Notlage ausrufen. Das erlaubt uns dieses Geld auf dem Kreditmarkt zu besorgen. Dass der Klimawandel eine echte Bedrohung für unser Leben bedeutet, zeigen uns die Extremwetterereignisse der letzten Jahre: Dürren und Hitze auf der einen Seite. Extreme Niederschläge und Überflutungen auf der anderen Seite. Bei wem tauchen nicht sofort Bilder vom zerstörten Ahrtal auf, nach der Katastrophe im Juli vergangenen Jahres. Ich sehe dieses Haus, das über einem Abhang zu schweben scheint, weil das Wasser den Untergrund weggespült hat. Ich erinnere mich an einen Krater, wo vorher eine Straße war. Ich habe noch die zerstörten Brücken im Kopf, die die Wassergewalt weggerissen hat. Das ist nur der materielle Schaden – er beträgt wohl weit mehr als 30 Milliarden Euro. Ich sehe aber auch fassungslose und verängstigte Menschen. Und: es sind viele Menschen gestorben. Es waren mehr als 130. Sie sind gestorben, weil der Klimawandel sich mit seiner zerstörerischen Kraft gezeigt hat. Dem müssen wir entschieden entgegentreten.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Und wem das Ahrtal noch zu weit weg ist. Der Klimawandel ist auch bei uns in Bremen schon angekommen. Die Dürre der vergangenen Jahre hat den Landwirten auch hier das Leben schwer gemacht, die Feuerwehr hat im vergangenen Sommer die Pflanzen im Bürgerpark mit einem Löschfahrzeug mit Wasser versorgen müssen. Oder: vor knapp einem Jahr fegten drei Sturmtiefs hintereinander über uns hinweg und ließen die Weser bedrohlich anschwellen. Unsere Deiche haben gehalten. Dieses Mal. Die steigenden Meeresspiegel machen uns noch verletzlicher für die Auswirkungen des Klimawandels, als die meisten anderen Regionen in Deutschland.

Das sind alles Beispiele aus der nahen Vergangenheit, die logisch und ja – auch emotional – deutlich machen: wir stecken in einer Notsituation und müssen handeln.

Wir können diese Notsituation aber auch ganz nüchtern juristisch herleiten und so die ausnahmsweise Aufnahme von Krediten begründen. Wir haben dazu ein rechtswissenschaftliches Gutachten von Prof. Dr. Joachim Wieland erbeten. Er sagt glasklar: der Klimawandel ist eine außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die den Haushalt des Staates erheblich beeinträchtigt. Das sind die Kriterien, die eine Ausnahme von der Schuldenbremse rechtfertigen. Die Energiekrise – so sagt es Wieland – sei ein "Brennglas", das das Voranschreiten der Krise beschleunige. Diese Klima- und Energiekrise – davon bin ich überzeugt – ist Grund genug, um die Ausnahme von der Schuldenbremse zu ziehen.

Eine Kritik lautet ja immer, die Klimakrise käme nicht überraschend und sei daher eben keine Notlage im Sinne der Schuldenbremse. Wissenschaftler sagen uns jedoch: die Situation spitzt sich dramatisch zu, weil wir bestimmte Kipppunkte erreicht und zum Teil bereits überschritten haben. Wir müssen jetzt gegensteuern, und zwar schnell.
Das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2021 sieht das ähnlich und untermauert unser Vorgehen. In dem Urteil heißt es: Der Staat – und das Gericht meint damit Bund und Länder - darf die Freiheit künftiger Generationen nicht gefährden. Daher muss er gegen den Klimawandel mehr tun.

Meine Damen und Herren,
genau das bringen wir heute auf den Weg.

Wir finanzieren mit dem Geld nur solche Maßnahmen, die schnelle und große CO2-Einsparungen bringen. Wir tun dies in vier Bereichen. Wir nennen sie, eben weil sie so effektiv sind, "fastlanes" – Überholspuren. Wir sanieren also die öffentlichen Gebäude, wir machen die Wärmeversorgung fossilfrei, auch die Mobilität in unseren Städten stellen wir um auf klimaneutrale Energieträger und wir helfen der Industrie und Wirtschaft dabei, künftig CO2-neutral zu produzieren und zu arbeiten.
Konkret heißt das: wir bringen Kitas, Schulen, die Gebäude der Hochschulen und Kliniken auf den neuesten energetischen Stand. Wir installieren Photovoltaik-Anlagen. Wir stellen nach und nach die Busflotten der BSAG und von Bremerhaven Bus auf klimaneutrale Energieträger um. Die Polizei wird bald schon mit E-Autos unterwegs sein. Wir fördern E-Mobilität für alle Menschen in unseren Städten, indem wir die Ladeinfrastruktur ausbauen. Wir bauen das Fernwärmenetz aus. Wir werden Bremerhaven zum Wasserstoff-Zentrum machen und somit die Klimaneutralität für ganz Deutschland mit ermöglichen. Und wir werden die Bremer Stahlwerke dabei unterstützen, grünen Stahl zu produzieren. Die Stahlwerke sind heute für mehr als die Hälfte der CO2-Emmissionen im Land Bremen verantwortlich. Wenn die Stahlwerke grün umgestellt sind, ist das ein großer Schritt für das Klima und es ist eine gute Nachricht für die Menschen, die in dem Werk arbeiten. Denn grüner Stahl wird künftig im weltweiten Wettbewerb die Nase vorn haben. Wir sind überzeugt: klimaneutrales Wirtschaften wird zu einem der wichtigsten, wenn nicht gar dem wichtigsten Standortfaktor der Zukunft.

All diese Maßnahmen kosten Geld – sehr viel Geld sogar. Für diese Überholspur-Maßnahmen stehen insgesamt zweieinhalb Milliarden Euro bis 2027 zur Verfügung. Aber: Dieses Geld nicht zur Verfügung zu stellen, käme uns teuer zu stehen, meine Damen und Herren.

Noch für dieses Jahr stehen im Haushalt 235 Millionen Euro für die "fastlanes" bereit. Wir können also sofort in Planungen einsteigen oder Maßnahmen unverzüglich umsetzen. 2,265 Milliarden Euro stehen dann noch für die Jahre 2024 bis 2027 zur Verfügung. Hinzu kommen weitere 500 Millionen Euro, die wir in diesem Jahr dafür einsetzen, der Energiekrise und den Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zu begegnen. Bis März wird der Senat dazu ein Konzept vorlegen, in dem Maßnahmen konkreter benannt sind.

Wichtig ist – und das ist mir als Finanzsenator von Anfang an klar gewesen: Das Parlament hat stets das letzte Wort, wofür die Mittel ausgegeben werden. Darin unterscheidet sich unser Weg grundsätzlich von dem anderer Bundesländer. Das Saarland zum Beispiel nimmt ebenfalls drei Milliarden Euro Kredite auf. Das Saarland packt diese aber in ein Sondervermögen, aus dem die Landesregierung dann Maßnahmen finanzieren kann. Wir machen das anders. Wir machen das transparent, demokratisch und nachvollziehbar. Anders ist das mit mir nicht zu machen.

Meine Damen und Herren,
jetzt muss ich noch einen wichtigen Aspekt einmal ganz deutlich erklären. Ich bitte um Verzeihung, aber jetzt muss ich mit Blick auf die Kritik der Opposition mal tief ins Finanzer-Lexikon abtauchen. Mit diesem Nachtragshaushalt erhält das Land Bremen drei Milliarden Euro an "Kreditermächtigungen". Was bedeutet das?

Das bedeutet: wir können Kredite in Höhe von drei Milliarden Euro aufnehmen. Denn selbstverständlich nutzen wir zuerst andere Geldquellen, bevor wir Kredite hinzuziehen. Dazu gehören Förderprogramme des Bundes oder der [ABK;EU; Europäische Union]. Und wenn sich der Bedarf zur Abfederung der Energiekrise als geringer erweist, dann müssen wir die bereit gestellten 500 Millionen Euro nicht komplett aufnehmen. Warum ist das so wichtig?

Wir nehmen Kredite im Rahmen der Ausnahmeregelung der Schuldenbremse auf. Das bedeutet, wir müssen jede Maßnahme, jeden ausgegebenen Euro, gut begründen können, damit uns nicht Gerichte einmal sagen: Ihr habt das Grundgesetz und die Landesverfassung gebrochen. Und: diese Kredite müssen wir selbstverständlich auch zurückzahlen. Jeder Euro, den wir nicht durch diese Notlagenkredite ausgeben, sondern uns anders besorgen oder vernünftigerweise einsparen – belastet künftige Haushalte weniger.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, den ich überhaupt nicht auf die leichte Schulter nehme. Ab 2028 muss das Land Bremen in die Tilgung einsteigen und 30 Jahre lang jährlich bis zu 100 Millionen Euro zurückzahlen. Hinzu kommen die Zinsen, auch das eine höhere zweistellige Millionensumme. Dieses Geld wird dem regulären Haushalt dann nicht zur Verfügung stehen. Glauben Sie mir: das kann keinem Finanzsenator gefallen und das gefällt auch mir nicht. Ich stehe dennoch hier vor Ihnen und bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Nachtragshaushalt. Weil wir eine Verantwortung tragen für diesen Planeten, für das Klima und dafür, dass wir unseren Kindern eine Welt hinterlassen, in der sie überleben können. Denn um nichts Geringeres geht es.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Schuldenbremse hat ihre Berechtigung. Ich finde sie nach wie vor richtig. Aber die Schuldenbremse lässt in sehr engen Grenzen die Ausnahme von der Regel zu, damit der Staat in außergewöhnlichen Notsituationen handlungsfähig bleibt. Diese Möglichkeit nutzen wir mit diesem Nachtragshaushalt.
Lassen Sie mich dazu eine Anmerkung machen: wer ernsthaft glaubt und erzählt, Bremen könnte die Klima- und Energiekrise aus Bordmitteln ohne Kredite stemmen… wer so etwas behauptet, der hat die Finanzlage Bremens und die Herausforderungen vor denen wir stehen, nicht verstanden. Wer sagt, das Land Bremen könnte verlässlich in den kommenden 15 Jahren jedes Jahr hunderte Millionen aufbringen, ohne dass es an anderer Stelle weh tut, der spricht die Unwahrheit. Wir nehmen diese Kredite auf, weil wir eine Notlage bewältigen wollen, aus der wir uns aus eigener Finanzkraft nicht befreien können.

Meine Damen und Herren,
der Nachtragshaushalt 2023 arbeitet das Paket zur Bekämpfung der Energie- und Klimakrise in die Haushaltspläne ein und bereitet den Pfad bis 2027. Im Nachtragshaushalt 2023 gibt es jedoch auch noch andere – nicht ganz so schwergewichtige – Änderungen, die ich Ihnen nicht verschweigen möchte.
So sind im Nachtragshaushalt die veränderten Werte aus der Herbststeuerschätzung eingearbeitet. Demnach darf der Stadtstaat in diesem Jahr mit Steuermehreinnahmen von rund 540 Millionen Euro rechnen. Durch die veränderten erwarteten Steuereinnahmen müssen auch Anpassungen im strukturellen Haushalt vorgenommen werden.
Wir beenden mit diesem Nachtragshaushalt die Corona bedingte Notlage. Mittel aus dem Bremen Fonds, die ursprünglich 2023 veranschlagt waren, haben wir in den Haushalt des vergangenen Jahres umgeschichtet.
Nicht zuletzt erhöhen wir die Verpflichtungsermächtigungen für die Stadt und das Land. Damit können die Ressorts in den kommenden Monaten flexibler auf unerwartete Anforderungen reagieren.
Der Stadtstaat Bremen wird laut Entwurf des Nachtragshaushaltes in diesem Jahr knapp siebeneinhalb Milliarden Euro ausgeben – das sind rund 500 Millionen Euro mehr, als im Anschlag vorgesehen waren.

Meine Damen und Herren,
diesen Nachtragshaushalt aufzustellen, war ein gemeinsamer Kraftakt. Die beteiligten Ressorts, der Senat und insbesondere mein Haus haben hart diskutiert und auch mal miteinander gerungen. Denn: uns allen war und ist bewusst, dass dieser Nachtragshaushalt die Weichen für Bremen neu stellt.

Ich möchte also herzlich danken: meinem Staatsrat Dr. Martin Hagen. Der Abteilung zwei meines Hauses mit dem Haushaltsdirektor Holger Duveneck und allen Kolleginnen und Kollegen dort. Auch der Abteilung Q gilt mein Dank. Hier werden die energetischen Sanierungen der öffentlichen Gebäude vorangetrieben. Ich danke allen Mitarbeitenden in den Referaten und allen Beteiligten der anderen Ressorts.

Meine Damen und Herren,
heute ist ein besonderer Tag. Mit dem Entwurf zum Nachtragshaushalt 2023 macht sich Bremen mutig und entschlossen auf den Weg, der Klima- und Energiekrise die Stirn zu bieten. Ich bitte Sie, diesen Weg mit uns zu gehen und diesem Nachtragshaushalt zuzustimmen. Vielen Dank.